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Rückschau auf den 6.12. am Thüringer Wald, Christof Maul

erstellt von Christof Maul zuletzt verändert: 13.12.2015 23:23

Chronologie eines Wellentages

Alkersleben, 6.12.2015

Eine Woche zuvor: Meteoblue sagt dicht gedrängte Isobaren hervor für Samstag und Sonntag in ganz (Nord)deutschland. Mein Wochenende ist noch unverplant, und die T steht vor der Tür. Ich beschließe, das Wochenende von anderen Verpflichtungen frei zu halten und die Vorhersage im Auge zu behalten. Als Startorte kommen die üblichen Verdächtigen in Frage: Ballenstedt und Aschersleben am Harz, Witzenhausen und, da Wochenende wäre, Alkersleben am Thüringer Wald. Am Wesergebirge dürfte außerdem Hochbetrieb am Hang und allen angeschlossenen Flugplätzen sein (Porta Westfalica, Bückeburg, Rinteln). Um in Alkersleben Welle fliegen zu können, müssen freie Zeit, ein Flugzeug vor der Tür, eine Wellensituation und ein Wochenende zusammenfallen. Das ist selten und hat für mich bisher nur ein einziges Mal funktioniert, daher hat diese Option Vorrang vor allen anderen.

Mittwoch: Die Vorhersage bleibt stabil. Ich schicke eine E-Mail an den Thüringer Wald-Welle-Verteiler mit meiner Einschätzung und der Frage, ob Betrieb wäre in Alkersleben am Wochenende. Am Abend kommt grünes Licht vom Schlepppiloten Klaus Krah, er sei beide Tage da und könne schleppen. Ich bestätige Klaus, dass ich kommen will.

Donnerstag/Freitag: Ich prüfe und aktualisiere XC Soar auf dem Dell und suche und finde die Saugnapfhalterung dafür. Außerdem baue ich Sauerstoff in die T ein. Alkersleben ist 200 km auf der Straße entfernt, aber schlecht angebunden. Die Fahrt geht auf der Landstraße quer durch den Harz und benötigt laut Navi 3 Stunden. Ich plane Abfahrt um 6 am Samstagmorgen mit Ankunft in A. um 9. Leider streikt das Auto am Freitagabend, so dass der Samstag für mich fliegerisch ins Wasser fällt. Aber der Sonntag steht noch auf dem Plan. Daan Spruyt springt am Samstag vom Wesergebirge an die Werra bis nach Eschwege und schafft es auch wieder zurück. Ich nehme mir vor, wenn es geht, am Sonntag von Alkersleben nach Witzenhausen zu fliegen, um den Lückenschluss Richtung Wesergebirge zu versuchen.

Sonntag: Abfahrt 6 Uhr. Im Harz liegen Schneereste neben der Straße, die Straße selbst glitzert verdächtig, aber es ist trocken und ich komme gut durch. Ankunft in A. plangemäß um 9, ein bisschen zu spät. Die Stemme von Michael steht schon auf dem Vorfeld, ich begrüße ihn und mache ein bisschen Flieger-Small-Talk. Michael Seischab und Angelika Mayr von der Wasserkuppe seien auch da, sagt er. Michael und Angelika stecken dann mit mir die LS4 zusammen, ich mache etwas hektisch alles fertig und versuche, gelassen zu bleiben. Die Nasenbrille für den Sauerstoff habe ich in Braunschweig vergessen und die Batterie dafür ist leer. Ich habe wohl nach dem erfolgreichen Test in Braunschweig vergessen, das Gerät auszuschalten. Na gut, ich will ja sowieso nicht primär hoch, sondern weit fliegen. Meine Schleppstange habe ich offenbar im LS3-Hänger vergessen, und der ist jetzt in Eisenhüttenstadt. Michael S. leiht mir seine, er und Angelika stehen ja schon am Start. Als letzter bin ich dann gegen 10 auch dort. Letzter sein ist aber zum Glück nicht schlimm heute, denn außer Michael S und Angelika sind alle anderen Eigenstarter, und die Schlepps sind kurz heute, da der Rotor nah am Platz steht. Eine gute halbe Stunde später hänge ich am Seil, und es geht los.

Das Vario piepst nicht. Irgendwie läuft noch nicht alles rund. Ich beschließe, mich auf die Stille im Cockpit zu freuen anstatt mich über das fehlende Piepsen zu ärgern. Diese Form der Autosuggestion funktioniert, erstens weil ich es schaffe, nicht abzusaufen und zweitens, weil man sich schnell dran gewöhnt, wie ich aus meinen Flügen ohne Strom noch gut in Erinnerung habe und weil ein stilles Cockpit tatsächlich eine angenehme Sache ist. Als der Zeiger des stillen Varios einige Sekunden am Anschlag steht (ich stecke hinter einer Wilga), klinke ich aus und wechsle zu Angelika und Michael auf die Frequenz, nachdem ich das Steigen zentriert habe. Klaus hat mich direkt in die Welle geschleppt, den mühsamen Kampf mit dem Rotor brauche ich heute nicht zu führen. Ich versuche mich in der etwas unübersichtlich strukturierten Bewölkung zurechtzufinden. Ganz klassisch funktioniert das alles nicht, und ich erkenne den Plan dahinter nicht, aber es reicht, um oben zu bleiben und etwas Höhe zu machen. Es steigt mit 0.5 bis 1 m/s, nicht berauschend, aber die Richtung stimmt, und als ich 2500 m erreicht habe, beschließe ich, aus der Tertiärwelle, in der ich wohl bin, gegen den Wind an den Hauptkamm in die Primärwelle vorzufliegen, in der Hoffnung, dass die Bewölkung dort leichter lesbar und das Steigen besser wäre. Leider ist mir das ED-R Ohrdruf dabei im Weg, die Antwort auf meine Anfrage in Alkersleben nach dessen Aktivität bleibt aber irgendwie unbestimmt, und selbst bei Langen Info oder wer immer hier zuständig ist anfragen, kann ich leider nicht, weil meine Karten unter dem Sitz verschwunden sind. Nicht ganz rund alles heute. Also fliege ich sicherheitshalber um das ED-R herum, was auch ganz gut geht. In der Primärwelle angekommen, finde ich im Wesentlichen eine enttäuschende schwarze Null auf dem Vario vor. Im Luv des Hauptkamms ist alles zugestaut, und im Nordwesten, wo ich eigentlich hinwill, auch. Im Südosten sieht es besser aus, und in dieser Richtung sind auch klassische Föhnlücken identifizierbar, also beschließe ich, dorthin zu fliegen und zu sehen, wie weit man kommt. Ich springe zurück in die Sekundärwelle, die besser gezeichnet ist als die Primärwelle und auch etwas besseres Steigen liefert. Höhe machen ist trotzdem mühsam, und ich beschließe, vorzufliegen sobald ich wieder bei 2500 m angekommen bin. Michael K sitzt es aus, ist mittlerweile in 3000m angekommen, und lässt die Flugleitung in Alkersleben das Wellenfenster aktivieren. Er wird später dort bis auf 4000m steigen.

Ich fliege derweil im Höhenband zwischen 2000m und 2500m nach Südosten bis ans Ende der Föhnlücke. Die ist dort für ein paar Kilometer unterbrochen, und dahinter ist sie wieder da. Ich hadere mit mir, ob ich da hineinspringen soll angesichts des eher schwachen Steigens, der 70 km/h Wind aus 250° und meiner mäßigen Arbeitshöhe und taste mich langsam über die geschlossene Bewölkung vor. Es trägt, und die zweite Lücke erscheint auf einmal greifbar nahe, und irgendwann beschließe ich es zu versuchen. Das kostet 200 m Höhe, und dort angekommen, bin ich nur noch 2000 m hoch, aber die Lücke ist eine echte Föhnlücke und wartet mit einem halben Meter Steigen auf. Ich beschließe, erst mal Höhe zu machen. Vor mir geht die Lücke weiter Richtung Hof, und hinter mir höre ich, wie Michael S und Angelika die sich schließende Bewölkung am Platz diskutieren. Sie wollen landen, bevor es ganz zu geht. Ich bin 60 km entfernt, bei ruhigem Wetter also im Gleitwinkel, aber es ist Welle und es hat 70 km/ Wind mit einer ordentlichen Gegenwind-Komponente. Außerdem ist auch noch die Bewölkung im Weg. Hinter mir beschließen jetzt Michael und Angelika zu landen, bevor die Bodensicht ganz weg ist. Unter mir wird meine Lücke auch kleiner und beginnt sich zu schließen. Die Ebene im Osten ist großflächig frei und das Gelände dort landbar, aber Flugplätze sind rar und ich komme nicht an meine Karte. Ich hoffe, dass wenigstens der Dell durchhält. Hof im Südosten wäre erreichbar, das sind nur etwa 20 km. Nicht die erste Wahl, denn da gibt es eine Kontrollzone, und ich habe die Frequenz nicht griffbereit, denn die Karte ist ja unter dem Sitz. Luvseitig unter der Bewölkung gibt es einen Platz in etwa 10 km Entfernung, den ich für Pennewitz halte, der aber in Wirklichkeit Titschendorf ist, wie ich zuhause feststellen werde. Sehen kann ich weder den einen noch den andern bei der Bewölkung. Vorsorglich lasse ich mir von Michael am Funk seine Handy-Nummer durchgeben. Dass das bedeutet, dass er nicht nach Hause fahren soll, bevor ich nicht sicher bin zurückzukommen, brauche ich ihm nicht zu erklären. Ich zwinge mich, gelassen zu klingen im Funk, eine Übung, die ich recht gut beherrsche. Mein Plan ist bis 3000m zu steigen in meiner Mini-Lücke. Dann wäre ich einigermaßen sicher im Gleitwinkel. Die Umsetzung ist aber mühsam und zäh, und im Nordwesten gibt es noch ein paar weitere Mini-Lücken. So beschließe ich in 2500m Höhe, dorthin zu fliegen bevor die auch noch weg sind.

Wolken links.Wolken rechts 

Die dichte Bewölkung ist zwar auf den ersten Blick beunruhigend, in Wirklichkeit aber sehr hilfreich. Die Löcher, die jetzt noch da sind, sind die Überreste der Föhnlücken. Zum einen sieht man dort noch den Boden, zum anderen steigt es dort auch. Besser könnte es eigentlich nicht sein. Ich fasse langsam Vertrauen zu dieser Art des Fliegens, zu der es ohnehin keine Alternative gibt außer der Flucht in die Ebene und taste mich Kilometer für Kilometer zurück. Michael S und Angelika sind mittlerweile gelandet, und nur Michael K ist noch unterwegs. Er meldet grade Ausflug aus dem Wellenfenster, damit es wieder geschlossen werden kann. Bei km 45 frage ich ihn nach der Bewölkung am Platz, und er bestätigt, dass es auch dort noch Löcher gibt. Bei km 20 treffen wir uns in der Luft bei Saalfeld. Dort geht es wieder auf 2500m hoch, der Flugplatz Rudolstadt ist unter uns und Alkersleben wieder im Gleitwinkel. Alles ist gut. Ich fliege zurück zum Platz und springe noch einmal vor in die Primärwelle. Wie durch ein Wunder trocknet es jetzt auf einmal wieder ab, und eine klassische Wellenbewölkung mit gut markierten Rotorbändern bildet sich aus. Ich lasse mich genüsslich in der Sonne zum Abschluss des Flugs auf 3000m hoch treiben, bis die Sonne nur noch eine Handbreit hoch über der immer noch geschlossenen Staubewölkung jenseits des Hauptkamms steht, drehe dann um und fliege die Höhe ab.

Abendsonne.in die Sonne

Um 5 vor 4 lande ich als Letzter in Alkersleben. Die Vereinsbelegschaft ist schon lange weg, die Fremdpiloten auch, und nur mit Mühe finde ich noch Hilfe zum Fliegertransport und zum Abrüsten. Als es dunkel ist, mache ich den Hänger zu, fahre noch einmal bei Michael K vorbei auf eine zweite Runde Flieger-Small-Talk und fahre heim mit einem ziemlich breiten Grinsen im Gesicht.

Flugmeldung in Sky Lines

hoch aufgelöstes Satellitenbild (Aqua) mit Flugweg Christof Maul

 

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